
Freizeit in der NVA war selten luxuriös, aber sie war von hoher Bedeutung. Zwischen Wachdienst, Ausbildung, Polit-Unterricht und Appellen wurde jede freie Stunde genutzt, um Abstand vom Dienstalltag zu gewinnen, „normal“ zu sein, Kontakte zu pflegen oder einfach nur zu schlafen. Was „beliebt“ war, hing von Standort, Jahrgang und Persönlichkeit ab – aber einige Muster tauchen in Erinnerungen immer wieder auf.
1. Karten, Klönsnack, Stube – das Herz der Freizeit
Die klassische „Stubenkultur“ war für viele das Zentrum:
- Skat, Rommé, Doppelkopf: Kartenspiele waren DIE Standardbeschäftigung. Gespielt wurde um Ehre, Stiche, manchmal um kleine Einsätze (Zigaretten, Schokolade, kleinere Dienste).
- Stubenhumor und Geschichten: Anekdoten aus der Heimat, Witze über den Dienst, Insider-Sprüche. Humor war Ventil gegen Frust und Drill.
- Musik vom Kassettenrekorder: Wer ein Radio oder ein Tapedeck hatte, war König. Ostrock, Westrock (wenn man rankam), Schlager – alles, was Normalität und „Draußenwelt“ in die Kaserne holte.
Die Stube war Rückzugsraum, Kneipe, Wohnzimmer und Therapieecke zugleich.
2. Lesen, Schreiben, „Bildung nachholen“
Vielerorts sehr präsent:
- Briefe nach Hause, zur Freundin, an Freunde – regelmäßig und teils umfangreich. Für viele waren diese Briefe das emotionale Rückgrat der Dienstzeit.
- Bücher & Zeitungen: Von staatlich erwünschter Literatur bis hin zu Krimis, Science-Fiction, Sportzeitungen. Wer Westpresse organisieren konnte, war umringt.
- Lernen: Einige nutzten ruhigere Phasen, um Schulstoff zu wiederholen, sich auf spätere Ausbildungen vorzubereiten oder Sprachen zu pauken. Gerade in längeren Diensten (z. B. BU, Offizierslaufbahn) war das verbreitet.
Freizeit wurde damit auch zur Investition in die Zeit nach der Entlassung.
3. Sport – vom Pflichtprogramm zum Ausgleich
Sport war nicht nur Dienst, sondern auch freiwillige Freizeitaktivität:
- Volleyball, Fußball, Tischtennis auf dem Hof oder in der Halle. Oft improvisiert, mit viel Ehrgeiz, Zug-gegen-Zug, Kompanie-gegen-Kompanie.
- Kraft- und Fitnesstraining mit einfachen Mitteln: Klimmzüge an Türrahmen, Liegestütze, Eigenkonstruktionen.
- Laufgruppen – für einige auch Ausrede, mal aus dem Kasernenhof rauszukommen.
Für Sportaffine bot die NVA durchaus Chancen: Wettkämpfe, Normerfüllungen, Sportabzeichen. Gleichzeitig diente Sport als ventilierter Stressabbau – gemeinsam schwitzen statt allein grübeln.
4. Musik, Gitarre, kleine Kultur
Wo ein Instrument war, war schnell ein Mittelpunkt:
- Gitarre auf der Stube, Lagerfeuer-Atmosphäre im Hof bei Übungen, leise gespielte Songs im Flüsterton nach dem Zapfenstreich.
- Singeklub, Kulturzirkel, Laienbands: Offiziell geförderte Kulturgruppen, die bei Truppenfeiern, Appellen oder Einheitenfesten auftraten.
- Filmabende im Klubhaus der Einheit: DEFA-Filme, sowjetische Streifen, gelegentlich auch westliche Produktionen, je nach Linie und Verfügbarkeit.
Das Spektrum reichte von ehrlich erlebter Gemeinschaft bis zur etwas steifen „Kulturveranstaltung mit Anwesenheitspflicht“.
5. Klub, Billiard, Fernsehen – die offiziellen Angebote
Viele Standorte hatten einen Soldatenklub mit:
- Billiard, Schach, Darts, Gesellschaftsspielen, manchmal Kicker.
- Fernsehecke – wichtig für Sportübertragungen, Serien, Nachrichten; besonders wenn Westfernsehen empfangbar war, wurde hier heimlich „rübergeschaut“.
- Veranstaltungen wie Dia-Vorträge, Vorträge „zur politisch-ideologischen Festigung“, Tanzabende mit Musik aus der Konserve oder Live-Kapelle.
Offiziell sollte der Klub „sozialistisches Gemeinschaftsleben“ stärken; praktisch war er einfach ein Ort, wo man nicht exerzieren musste.
6. Ausgang: Stadt, Kneipe, Mädchen, Familie
Wenn Ausgang oder Urlaub anstand, verlagerte sich das Leben sofort nach draußen:
- Kneipe / Gaststätte: Ein Bier, Musikbox, Zivilisten um sich – das Gefühl, für ein paar Stunden kein „Gefreiter XY“ zu sein.
- Treffen mit Freundin/Freundeskreis, Spaziergänge, Kino, Tanzveranstaltungen.
- Kurzbesuch bei der Familie, wenn Kaserne und Heimatort nah beieinander lagen.
Ausgangstage waren selten und kostbar. Zu viel Alkohol oder Ärger in der Stadt konnte schnell Disziplinarmaßnahmen nach sich ziehen – trotzdem blieb „rauskommen“ eines der wichtigsten Ziele.
7. Urlaub und Heimfahrten
Längerer Urlaub war emotionaler Fixpunkt:
- Zurück in die alte Clique, ins Fußballteam, in den Jugendclub.
- Dinge nachholen, die in der Kaserne fehlten: ausschlafen, privates Radio, unkontrollierte Gespräche, vielleicht Westfernsehen ohne schlechtes Gewissen.
- Viele bauten Urlaub mental zu Meilensteinen („nur noch zwei Urlaube bis zur Entlassung“) aus – das half beim Durchhalten.
8. Basteln, Tüfteln, „Organisieren“
In manch ruhiger Ecke wurde:
- an Radios, Verstärkern, Mopeds geschraubt,
- mit Holz oder Metall gebastelt,
- Fotos sortiert, Erinnerungsalben angelegt.
Manchmal ging das in Grauzonen über (Material aus dem Dienst „organisieren“), oft war es schlicht Ausdruck von Kreativität und Handwerkssinn unter knappen Bedingungen.
9. Politische und kollektive Aktivitäten
Nicht unbedingt „beliebt“, aber Teil des Freizeitbildes:
- FDJ-Zusammenkünfte, politische Diskussionen, Agitationsveranstaltungen
- Teilnahme an „freiwilligen“ Wettbewerben, Subbotniks, Ehrungen
- Sport- und Kulturwettbewerbe zwischen Einheiten
Manche erlebten diese Aktivitäten als sinnvoll, andere als reine Pflichtnummer – wie stark das angenommen wurde, hing stark vom Ton der Verantwortlichen ab.
Fazit
Freizeit in der NVA war ein Mischraum aus Kontrolle und kleinen Freiheiten. Beliebt war alles, was Normalität brachte:
- Kartenspiele, Musik, Stubenhumor,
- Sport und Bastelei,
- Briefeschreiben und Lesen,
- Ausgang in Kneipe, Kino, zur Freundin,
- Urlaub zu Hause.
Zwischen Betonflur und Exerzierplatz entstanden so Inseln, in denen Soldaten wieder zu jungen Männern wurden, nicht nur zu Dienstnummern. Gerade in der Rückschau erinnern viele weniger den offiziellen „Freizeitplan“, sondern diese selbst gestalteten Momente: Skatrunden, Gitarrenlieder, gemeinsame Späße, erste Biere im Ausgang, Gespräche bis tief in die Nacht – all das, was half, die Kanten des Dienstes etwas runder zu machen.


