
Wenn man über die NVA spricht, wird vieles sehr offen erzählt – bei Sex dagegen schwingt bis heute viel Ungesagtes mit. Dabei gehört Sexualität wie Alkohol, Kameradschaft und Konflikte zur Alltagsgeschichte der Truppe. Wichtig ist: Es geht hier um Erwachsene und ihre Lebensrealität, nicht um voyeuristische Details. Der Fokus liegt darauf, welche Rahmenbedingungen es gab und welche Möglichkeiten Soldaten überhaupt hatten, intime Beziehungen zu leben.
1. Ausgang und Heimaturlaub – der wichtigste „Freiraum“
Die mit Abstand wichtigste Möglichkeit für Sex lag außerhalb der Kaserne:
- Heimaturlaub: Für viele Wehrpflichtige war das die Zeit, in der sie ihre festen Freundinnen oder Ehefrauen sehen konnten. Intimität konzentrierte sich auf wenige Tage, was Beziehungen belastete, aber auch intensiv machte.
- Ausgang in der Garnisonsstadt: Wer Wochenende oder Abend-Ausgang hatte, ging in:
- Jugendklubs, Diskotheken, Dorf- oder Stadtfeste,
- Kneipen, Tanzveranstaltungen, Privatpartys.
Dort entstanden Bekanntschaften mit Frauen aus der Umgebung – von einmaligen Begegnungen bis zu längeren Beziehungen.
- Besuch am Standort: Manche Soldaten hatten Partnerinnen, die in der Nähe lebten und sich mit ihnen außerhalb des Kasernentors trafen. Oft blieb wenig Zeit und Raum; spontane, pragmatische Lösungen prägten den Alltag.
Inhaltlich galt: Alles, was einvernehmlich war und nicht direkt gegen dienstliche Vorschriften verstieß, lief im Prinzip unter Privatleben. Problematisch wurde es, wenn Ausgangszeiten überschritten, Uniformvorschriften missachtet oder Frauen unerlaubt in Kasernenbereiche gebracht wurden.
2. Verheiratete Soldaten und Berufsangehörige
Bei Berufsunteroffizieren, Offizieren und länger dienenden Soldaten sah es anders aus:
- Viele lebten mit ihren Familien in Dienstwohnungen oder Wohnblocks in Standortnähe. Sexualität fand – wie bei Zivilisten – im gemeinsamen Haushalt statt.
- Für verheiratete Wehrpflichtige oder längerdienende Soldaten gab es – je nach Einheit – gewisse Erleichterungen bei Urlaub oder Ausgang, um Familienleben zu ermöglichen.
- Auch hier griffen jedoch dienstliche Erfordernisse (Übungen, Bereitschaftsdienste), die Intimität einschränkten.
Insgesamt hatten Berufsangehörige wesentlich stabilere Bedingungen für Partnerschaft und Sexualität als die „18-Monats-Soldaten“.
3. Sex in der Kaserne – offiziell verboten, inoffiziell selten, aber vorhanden
Offiziell war die NVA-Welt klar: Frauen hatten in Männerunterkünften nichts zu suchen, mit Ausnahme weniger regulierter Bereiche (z. B. ziviles Personal, medizinischer Dienst, Offizierskasino – und auch dort streng geregelt).
Trotzdem kam es vor:
- Eingeschleuste Partnerinnen in ruhigen Abend- oder Nachtstunden, z. B. über Nebeneingänge, Fahrzeughallen, leerstehende Räume. Das war riskant:
- Verstoß gegen Sicherheitsbestimmungen,
- Gefahr von Disziplinarstrafen,
- bei Wiederholung oder Skandalen auch Auswirkungen auf die Akte.
- Beziehungen zu Zivilangestellten (Küche, Reinigung, Verwaltung) oder zu Angehörigen im Umfeld von Standorten:
- Treffen nach Dienstschluss, in Wohnungen, auf Festen, während Übungen im Heimatbereich.
- Truppenlager und Übungen: Hier spielten sich intime Begegnungen, wenn überhaupt, außerhalb der Unterkünfte ab – bei Treffen in der Umgebung, bei Besuchen am Wochenende.
Die Mehrheit der Wehrpflichtigen hatte jedoch keinen realistischen Zugang, Frauen in die Stuben zu holen, ohne Kopf und Karriere zu riskieren. Für viele blieb das Phantasie, Erzählstoff oder seltenes Abenteuer, nicht Alltag.
4. Weibliche Angehörige der NVA
Es gab Frauen in der NVA (Sanitätsdienst, Stäbe, bestimmte Spezialbereiche):
- Offizielle Beziehungen innerhalb der Truppe waren möglich, aber sensibel:
- Dienstweg, Abhängigkeitsverhältnisse und Politbewertung spielten hinein.
- Offene Paare mussten sich an Disziplin und Diskretion halten.
- Inoffizielle Affären kamen vor, konnten aber bei Auffliegen Konsequenzen haben, insbesondere wenn Hierarchien oder Eheversprechen betroffen waren.
Auch hier war die Realität weit entfernt von romantisierten Vorstellungen – eher eine Gratwanderung zwischen privaten Gefühlen und politisch-militärischem Erwartungsdruck.
5. Prostitution, „Versorgung“ durch Lokale, Grenzfälle
Ein heikles Thema sind Begegnungen mit Prostituierten oder Gelegenheitssex in Bars und Kneipen:
- In größeren Garnisonsstädten oder Hafenstädten bewegten sich Soldaten in Milieus, wo es auch käufliche Angebote gab.
- Offiziell waren solche Kontakte unerwünscht, u. a. wegen:
- Gesundheitsrisiken (Geschlechtskrankheiten),
- möglicher Erpressbarkeit,
- moralisch-politischer Bewertung.
- Im Einzelfall konnte das zum Problem werden: Arztbesuche, Meldungen, Aktenvermerke.
Solche Fälle gab es, sie waren aber nicht NVA-spezifisch, sondern typische Phänomene jeder Armee, die junge Männer in fremde Städte schickt.
6. Pornografie, Fantasie, „Kasernenhumor“
Da reale Möglichkeiten begrenzt waren, spielte sich ein Teil der Sexualität in:
- Bravado-Gesprächen, Witzen, Übertreibungen in der Stube,
- Zeitschriften (erlaubte und unerlaubte),
- Phantasien und Briefwechseln mit der Freundin ab.
Pornografie war in der DDR offiziell restriktiv gehandhabt; dennoch kursierten westliche Magazine oder Fotos. Besitz in der Kaserne konnte, je nach Vorgesetztem, von „Augen zudrücken“ bis zu „Konfiszieren und Rüffel“ reichen.
7. Strukturen, Macht und Grauzonen
Ein unangenehmer, aber wichtiger Punkt:
- In Hierarchiesystemen kann Sexualität immer auch mit Macht, Druck, Abhängigkeit verknüpft sein.
- Dazu zählen:
- Beziehungen, in denen Dienstgrade ihre Position ausnutzen,
- sexuelle Anspielungen im Rahmen von Schikanen.
Belastbare Daten sind spärlich, vieles bleibt in Zeitzeugenberichten; klar ist aber: Das System der NVA bot wenig geschützte Räume, in denen über Grenzverletzungen offen gesprochen werden konnte. Wer betroffen war, schwieg oft.
8. Zusammengefasst
Sex in der NVA war geprägt von:
- starken strukturellen Begrenzungen (Kasernierung, Kontrolle, Ideologie),
- Fokus auf Ausgang und Urlaub als Hauptfenster für intime Beziehungen,
- seltenen, riskanten Versuchen, Sexualität in den Kasernenalltag hineinzutragen,
- einer Mischung aus echten Beziehungen, knappen Gelegenheitskontakten und viel Gerede.
Die meisten Soldaten lebten ihre Sexualität vor allem draußen – mit Partnerinnen, Bekannten, in der Heimat. Drinnen dominierten Fantasie, Humor und Frust über Entbehrung. Wer die NVA-Geschichte ernsthaft betrachtet, sollte genau diese Spannung sehen: zwischen einem System, das Kontrolle und moralische Fassade brauchte, und jungen Menschen, für die Nähe, Lust, Liebe und Körperlichkeit auch unter Uniform keine Nebensache waren.


