NVA-Wehrdienst wird bei der Rente leider benachteiligt berechnet.
Versicherte, die ihren Grundwehrdienst in der Nationalen Volksarmee der DDR (NVA) bis einschließlich 1981 abgeleistet haben, werden in der gesetzlichen Rentenversicherung weiterhin schlechter gestellt als ehemalige Wehrdienstleistende der Bundeswehr. Für Dienstzeiten bei der NVA werden pro vollem Dienstjahr 0,75 Entgeltpunkte berücksichtigt. Demgegenüber erhalten Bundeswehrpflichtige für ihre Wehrdienstzeiten einen vollen Entgeltpunkt. Bezogen auf einen Grundwehrdienst von 18 Monaten ergibt sich hieraus eine monatliche Rentendifferenz von rund 14,10 Euro zuungunsten der ehemaligen NVA-Angehörigen.
Damit drängt sich die Frage auf, ob diese unterschiedliche Behandlung mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz vereinbar ist. Beide Gruppen haben auf Grundlage einer gesetzlichen Wehrpflicht ihren Dienst geleistet, jeweils eingebunden in das staatliche System, in dem sie lebten. Der tatsächliche Lebenssachverhalt – Unterbrechung des eigenen Lebensweges, Verpflichtung zum Dienst, fehlende Freiwilligkeit – ähnelt sich deutlich. Offensichtliche sachliche Gründe, die eine rentenrechtliche Schlechterstellung der einen Gruppe gegenüber der anderen rechtfertigen könnten, sind auf den ersten Blick nicht erkennbar.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Mit Beschluss vom 30. November 2023 (Az.: 1 BvR 1509/23) hat das Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde gegen diese Ungleichbehandlung nicht zur Entscheidung angenommen. Der Wortlaut der Entscheidung ist hier abrufbar:
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2023/11/rk20231130_1bvr150923.html
Das Gericht stützt seine Argumentation im Wesentlichen darauf, dass für Wehrdienstzeiten bei der Bundeswehr Beiträge zur Rentenversicherung aus Bundesmitteln gezahlt wurden, während für Wehrdienstzeiten in der NVA solche Zahlungen nicht erfolgt seien. Daraus wird gefolgert, dass eine unterschiedliche Bewertung der Zeiten vertretbar sei. Kritisch ist daran, dass diese Beitragszahlungen im alten Bundesgebiet keine individuelle Eigenleistung der Wehrdienstleistenden darstellen, sondern eine politische Finanzierungsentscheidung. Der persönlich gelebte Lebenssachverhalt – verpflichtender Dienst im staatlichen Auftrag – unterscheidet sich dadurch nicht. Wenn aber gerade dieser Lebenssachverhalt Maßstab für Gleichbehandlung sein soll, erscheint es konstruiert, die Ungleichbehandlung allein aus unterschiedlichen Finanzierungswegen abzuleiten.
Gesellschaftliche Wirkung und politische Botschaft
Über die juristische Ebene hinaus entfaltet die Nichtannahme der Beschwerde eine problematische Signalwirkung. Viele Ostdeutsche empfinden bis heute, dass ihre Biografien und Belastungen unzureichend anerkannt werden. Die fortbestehende Schlechterstellung der NVA-Wehrdienstzeiten kann dieses Empfinden verschärfen. Untersuchungen wie der Sachsen-Monitor 2023 zeigen, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung im Osten den Eindruck hat, Bürger zweiter Klasse zu sein. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht diese Wahrnehmung nicht befördern will, liefert die Entscheidung objektiv Argumentationsmaterial für diejenigen, die gesellschaftliche Spaltungen betonen und Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen schüren.
Perspektiven: Rechtlich ausgeschöpft – politisch gestaltbar
Mit dem Beschluss vom 30.11.2023 ist der verfassungsgerichtliche Weg im Kern ausgeschöpft. Eine Korrektur der ungleichen Bewertung der Wehrdienstzeiten vor 1982 kann nur noch durch den Gesetzgeber erfolgen. Es liegt nun in der Verantwortung der Sozialpolitik, zu prüfen, ob eine Anpassung des Rentenrechts geboten ist, um ehemalige NVA-Wehrpflichtige bei der Anrechnung ihrer Dienstzeiten den westdeutschen Vergleichsgruppen gleichzustellen.
Betroffene sind dabei nicht völlig machtlos. Sie können das Thema aktiv ansprechen – etwa im Dialog mit ihren Wahlkreisabgeordneten der demokratischen Parteien, über Interessenverbände oder öffentliche Diskussionen. Deutlich zu machen ist, dass es hier nicht um Privilegien, sondern um eine als gerecht empfundene, konsistente Bewertung von Pflichtdienst geht.