Diese Vorteile bot die NVA jungen Menschen für ihr Leben
Unabhängig von der politischen Bewertung der DDR erinnern viele ehemalige Angehörige der Nationalen Volksarmee (NVA) an ganz handfeste Dinge, die ihnen später im Leben nutzten. Der Wehrdienst war streng getaktet und oft belastend – aber er vermittelte Fähigkeiten, Routinen und Haltungen, die in Ausbildung, Beruf und Alltag tragfähig blieben. Was genau bezeichneten viele als Vorteil?
1) Verlässliche Grundtugenden
Pünktlichkeit, Disziplin, Durchhaltevermögen, sauberes Arbeiten: Die NVA machte aus Tagesrhythmus eine Gewohnheit. Antreten, Aufträge übernehmen, Ergebnisse abliefern – wer das verinnerlichte, hatte im Zivilleben später oft einen Startvorteil. Auch Zeitmanagement und Priorisierung wurden trainiert: knappe Ressourcen, klare Fristen, kein Ausweichen. Diese Routine half in Handwerk, Produktion, Verwaltung und Studium gleichermaßen.
2) Teamarbeit und Führung im Kleinen
Der Dienst zwang, mit sehr unterschiedlichen Menschen verlässlich im Team zu funktionieren. Rollen wurden verteilt, Stärken und Schwächen erkannt, Konflikte gelöst, oft unter Druck. Viele berichten, dass sie daraus eine unaufgeregte Führungsfähigkeit mitnahmen: Aufgaben erklären, kontrollieren, Verantwortung tragen – zunächst für einen Posten, später für Maschinen, Material oder Kolleginnen und Kollegen. Wer als Gruppen- oder Truppführer diente, übte kleine Führung in Echtzeit: Entscheidungen fällen, Rückmeldungen geben, Fehler abfangen.
3) Praktisches Können, das nie veraltet
Die NVA lehrte anwendbare Fertigkeiten, die Jahrzehnte überdauern:
- Erste Hilfe und grundlegende Sanitätsdienste – im Notfall handeln, ruhig bleiben, Prioritäten setzen.
- Karten- und Geländekunde, Orientierung ohne Technik, Wetter- und Geländeabschätzung.
- Funk- und Meldewesen: kurz, eindeutig, strukturiert kommunizieren.
- Wartung und Instandhaltung: Pflegepläne, Werkzeugkunde, Fehlersuche – ein Grund, warum viele ehemalige Soldaten in technischen Berufen schnell Tritt fassten.
- Fahrausbildung bis hin zu großen Fahrzeugklassen, wo verfügbar – inklusive Fahrdisziplin, Ladungssicherung und einfachem Pannenmanagement.
4) Technikverständnis und Sicherheitskultur
Ob Fahrzeug, Funkgerät, Waffe, Boot oder Aggregat: Man lernte, Systeme als Systeme zu begreifen – mit Bedienung, Grenzen, Sicherheitsregeln und Checklisten. Diese Sicherheitskultur (Doppelkontrolle, Freigabe, Störungsprotokoll) prägte viele dauerhaft. Wer später in Industrie, Bau, Logistik, Energie oder Handwerk arbeitete, profitierte von dieser disziplinierten Sorgfalt.
5) Körperliche Belastbarkeit und Gesundheitssinn
Sport war Pflicht – manchmal gehasst, oft erinnerungswürdig. Laufen, Kraft, Hindernisbahn, Marsch: Das baute Grundfitness auf und sensibilisierte für Regeneration, Ernährung und Verletzungsprophylaxe. Nicht jede Einheit war sportpädagogisch vorbildlich, doch die Gewohnheit zu Bewegung blieb vielen erhalten.
6) Improvisationskunst und Pragmatismus
DDR-Alltag bedeutete auch Mangelwirtschaft. In der NVA hieß das: behelfsmäßig Lösungen finden, Material sinnvoll nutzen, Reparaturen priorisieren, nichts verschwenden. Diese Improvisationskompetenz – heute „Resilience“ und „Problem Solving“ genannt – machte viele Ehemalige zu ruhigen Praktikern, die nicht lange klagen, sondern anpacken.
7) Netzwerke und Kameradschaft
Aus Stuben- und Zuggemeinschaften entstanden lebenslange Kontakte. Wer zusammen Wachen schob, Prüfungen bestand und Einsätze fuhr, knüpfte Netzwerke, die später bei Jobsuche, Umzug oder Firmengründung halfen. Nicht jeder blieb befreundet, aber die Erfahrung, Vertrauen unter Belastung aufzubauen, wirkt bis heute nach.
8) Berufsorientierung und Qualifikationen
Viele fanden im Dienst ihren beruflichen Weg: Kfz-Technik, Funk/IT, Sanitätsdienste, Pionier- und Bauaufgaben, Versorgung/Logistik. Lehrgänge, Leistungsnachweise und Praxisstunden zählten anrechenbar, wenn es in Ausbildung und Beruf weiterging. Wer länger diente oder in Unteroffiziers-/Offizierslaufbahnen einstieg, erhielt strukturiertes Training in Didaktik (Ausbildung anderer), Planung und Stabsarbeit – Kompetenzen, die in Betrieben und Behörden unmittelbar anschlussfähig waren.
9) Selbstwirksamkeit und Nervenstärke
Die Kombination aus Drill, Verantwortung und realer Belastung erzeugte etwas, das viele später als wichtigste Lehre nennen: „Ich kann das.“ In unsicheren Situationen ruhig zu bleiben, unter Druck handlungsfähig zu bleiben, Entscheidungen zu treffen und sie zu vertreten – diese Selbstwirksamkeit lässt sich schwer lehren, aber in der NVA wurde sie täglich erzwungen und eingeübt.
10) Struktur als Orientierung – auch danach
Für nicht wenige bedeutete der Dienst eine Phase der Orientierung: raus aus der Schule, rein in eine verlässliche Struktur. Wer aus unstetem Umfeld kam, fand einen Rahmen, der Ordnung und Planbarkeit bot. Die klare Taktung half, Arbeitsgewohnheiten aufzubauen, die später Ausbildung, Studium oder Familienleben stabilisierten.
Einordnender Blick
Natürlich war nicht alles Vorteil: Zwangskontext, ideologische Rahmung, harte Töne – vieles wird rückblickend ambivalent erinnert. Dennoch bleibt der nüchterne Kern: Die NVA vermittelte jungen Menschen übertragbare Kompetenzen – von Teamfähigkeit über Technikverständnis bis zu Sicherheitsbewusstsein –, formte nützliche Routinen und stärkte Resilienz. Genau diese Mischung aus praktischem Können, Struktur und Charakterbildung macht für viele den bleibenden Wert aus, den sie – bei aller Distanz zur damaligen Politik – aus ihrer Dienstzeit mitgenommen haben.